Die sind eine Seele im Himmel, die darauf wartet, ein Leben auf der Erde zugewiesen zu bekommen. Es ist später Freitagnachmittag und Sie beobachten besorgt, wie der Vorrat an möglichen Leben schwindet. Dann sind Sie an der Reihe. Der Engel vom Dienst bietet Ihnen die Wahl zwischen zwei Leben: das des Komponisten Joseph Haydn und das einer Auster. Haydn wird wunderbare Musik komponieren und die Entwicklung der Symphonie maßgeblich beeinflussen; er wird Erfolg haben und Ehren erwiesen bekommen, er wird fröhlich sein und beliebt, er wird viel reisen und Sport genießen.
Das Leben der Auster wird viel weniger aufregend sein. Zwar handelt es sich um eine sehr kluge Auster, aber ihr Leben wird nur aus einem milden sinnlichen Wohlgefühl bestehen, vielleicht etwa so wie wenn ein Mensch sehr betrunken in einem warmen Bad schwebt. Als Sie sich für Haydns Leben entscheiden, seufzt der Engel: »Dieses Austernleben werde ich wohl nie los! Das haben wir schon seit Jahrhunderten. Hey, ich biete Ihnen eine besondere Gelegenheit. Haydn wird nur 77 Jahre lat werden. Aber für Sie werde ich das Austernleben so lang machen, wie Sie wollen«. (Meine Übersetzung)
Crisp, Roger: Reasons and the good. - Oxford : Clarendon, 2006, S. 112. Crisp erzählt die Geschichte auch schon in seinem früheren Buch „Mill on Utilitarianism“ von 1997.
Die Geschichte soll die Frage illustrieren, ob alles, was für ein Gutes Leben zählt, eine 'enjoyable experience' sei. Mill selbst schrieb in seinem Buch Utilitarianism, es sei besser, ein unzufriedener Sokrates zu sein als ein zufriedener Narr; zur Begründung unterschied er zwischen höheren und niederen 'pleasures'. Das wirft eine Schwierigkeit auf, weil nicht klar ist, worin sich höhere von niederen unterscheiden. Liegt der Unterschied in der Menge an pleasure, dann wäre das kein prinzipieller Unterschied und damit nicht einzusehen, warum ein glückliches Schwein weniger gut sein sollte als ein unglücklicher Sokrates. Liegt's in der Qualität, dann fragt sich, ob diese unterschiedliche Qualität nicht für sich, ohne die Menge des damit verbundenen 'pleasure' in Betracht zu ziehen, etwas Gutes sein könnte (womit der Utilitarismus als Wertmonismus verwässert wäre). Crisp meint, Mill einen Ausweg aus dem Dilemma weisen zu können: indem er etwas genauer hinsieht, wie man pleasure bzw. enjoyment auszubuchstabieren hätte. Das befriedigt dann auch die Intuition, dass die sinnlichen Genüsse einer Auster mit den geistigen von Haydn nicht mithalten können.