(Philosophische) Gedankenexperimente im engeren Sinne (1) sind fiktive kontrafaktische Szenarien (2), die mit dem Ziel entworfen sind und präsentiert werden, in einem definierten argumentativen Zusammenhang (3) Begriffe oder Intuitionen zu klären oder (philosophische) Thesen zu widerlegen (4). Es folgen einige Bemerkungen zur Kritik an der Methode des Gedankenexperiments (5).
Sieht man sich die hier gebotene Übersicht von Szenarien an, die in den Sammlungen und in der theoretischen Reflexion bereits als Gedankenexperimente präsentiert wurden, dann fallen einige dieser Szenarien offensichtlich nicht unter die vertretene Definition. Beispielsweise ist Platons Höhlengleichnis eben ein Gleichnis, das eine These über die Unzulänglichkeit unseres Erkenntnisvermögens nicht begründet, sondern nur beschreibt bzw. illustriert. Ähnliche Funktion haben Beispiele, Analogien, Vergleiche oder Erzählungen.
In der Forschung werden naturwissenschaftliche von philosophischen Gedankenexperimenten unterschieden; dabei wird oft die Meinung vertreten, dass Gedankenexperimente in der Naturwissenschaft »helpful and … relatively unproblematic« (Wilkes 1999, 1-2) seien und damit als Werkzeug theoretischer Reflexion und Argumentation deutlich zuverlässiger und überzeugender wirkten als in der Philosophie. Darum könnte es sich lohnen, in der Theorie des Gedankenexperiments Philosophie und Naturwissenschaft zu trennen. Ich halte allerdings diese These in ihrer Grundsätzlichkeit für fragwürdig, a) da die heutige klare Trennung von Philosophie und Naturwissenschaft deutlich jünger ist als einige der hier gesammelten Gedankenexperimente, b) da mir einige philosophische Gedankenexperimente ihren Zweck gut zu erfüllen scheinen. Meine Sammlung nimmt auf diese Unterscheidung ohnehin keine Rücksicht.
Gedankenexperimente stellen fiktive kontrafaktische Szenarien vor. Damit ist gemeint:
Für Ernst Mach sind Gedankenexperimente mit naturwissenschaftlichen Experimenten verwandt und werden wie diese durchgeführt: man fügt in seiner Imagination die Elemente eines Versuchs zusammen, stellt sich den Ablauf vor und nimmt dabei die Rolle des Beobachters ein. Ähnlich schrieb in jüngerer Zeit James Robert Brown vom »Laboratory of the mind« (Brown 1991). Diese Idee ist für jemanden, der aus der Naturwissenschaft kommt, vielleicht naheliegend, aber offensichtlich falsch. Gedankenexperimente sind keine Versuchsabläufe, von deren Ergebnissen man überrascht werden könnte und die einem neue Erkenntnisse offenbaren. Stattdessen hat die jüngere Forschung betont, dass das kontrafaktische Szenario Teil eines Arguments ist, in dessen Kontext es verstanden werden muss (Häggquist 1996, Cohnitz 2008). Das ist der Grund, warum Gedankenexperimente nicht solo, außerhalb einer (philosophischen) Argumentation, auftreten. Und das ist auch der Grund, warum es oft wenig sinnvoll ist, literarische Texte oder andere (fiktive) Erzählungen (Drama, Film) als »Gedankenexperiment« zu bezeichnen, wenn ihnen nicht die argumentative Funktion erkennbar mitgegeben ist. Es bedeutet aber umgekehrt, dass Erzählungen als »Gedankenexperimente« in einem (philosophischen) argumentativen Zusammenhang aufgerufen bzw. eingebettet werden können. Der Kontext bestimmt die Hintergrundannahmen des Szenarios und gibt damit gleichzeitig den Rahmen für die Beurteilung seines Erfolges ab.
Die häufigste Funktion von Gedankenexperimenten ist kritischer Natur: Kontrafaktische Szenarien werden vorgetragen um zu zeigen, dass ein Begriff nicht vollständig analysiert oder eine These nicht wahr ist. Beispiele dafür sind die Gettier-Fälle, die zeigen sollen, dass der traditionelle Begriff des Wissens — als wahre, gerechtfertigte Meinung — unvollständig ist, oder das Mary-Farbwissenschaftler-Szenario, welches zeigen soll, dass der Physikalismus falsch ist. Manche Szenarien werden auch vorgetragen, um Begriffe zu erklären. Allerdings haben solche Szenarien dann oft den Charakter eines bloßen Beispiels.
Der kritische Impetus eines Gedankenexperiments kann auch dadurch zum Tragen kommen, dass bestimmte Intuitionen hinterfragt werden. In der praktischen Philosophie etwa hinterfragt Thomsons Geiger-Szenario die Annahme, das Lebensrecht eines Dritten ginge in allen Zusammenhängen dem Selbstbestimmungsrecht einer davon eingeschränkten Person vor.
Noch nicht ausgearbeitet.
6. Literatur