Nomos ist griechisch und bedeutet „Weide“, und der „Nomade“ ist ein Häuptling oder Stammesältester, der die Zuweisung von Weidegründen beaufsichtigt. Nomos nahm daher die Bedeutung „Gesetz“, „gerechte Verteilung“, „das, was kraft des Brauchtums zugewiesen wird“ an - und wurde so die Grundlage für die gesamte westliche Gesetzgebung.
Das Verb nemein - „grasen“, „weiden“, „einordnen“ oder „verbreiten“ - hatte schon bei Homer eine zweite Bedeutung: „verhandeln“, „verteilen“ oder „austeilen“ - insbesondere Land, Ehre, Fleisch und Getränke. Nemesis ist die „Verteilung von Gerechtigkeit“ und damit von „göttlicher Gerechtigkeit“. Nomisma bedeutet „gültige Münze“: von daher „Numismatik“.
Traumpfade, Bruce Chatwin
„In every system of morality, which I have hitherto met with, I have always remark'd that the author proceeds for some time in the ordinary way of reasoning, and establishes the being of a god, or makes observations concerning human affairs; when of a sudden I am surpriz'd to find, that instead of the ususal copulations of propositions, is, and is not, I meet with no proposition that is not connected with an ought, or an ought not. This change is imperceptible; but is, however, of the last consequence. For as this ought, or ought not, expresses some new relation or affirmation, 'tis necessary that it shou'd be observ'd and explain'd, and at the same time that a reason should be given, for what seems altogether inconceivable, how this new relation can be a deduction from others, which are entirely different from it“ (469) …
… so HUME in einer Randbemerkung über die Moralsysteme seiner Zeit. Die populäre Kurzfassung ist „Kein Sollen aus einem Sein“, oder, genauer, „Aus nicht-normativen Aussagen folgen keine normativen Sätze“. Was heißt das? Es bedeutet: Aus einer Situationsbeschreibung allein folgt keine Handlungsanweisung. Das HUMEsche Gesetz widerspricht damit z.B. der platonischen Ideenlehre und der Vorstellung objektiver Werte, gegen die sich auch das „Argument aus der Absonderlichkeit“ richtet. (Anmerkung: Hier sind natürlich keine logischen Taschenspielertricks gemeint wie „Aus A folgt A oder B“, mit A als nichtnormativer Aussage und B als normativer Aussage.)
In welchem Sinne ist das „HUMEsche Gesetz“ ein Gesetz? Es ist kein Gebot HUMEs, es ist nicht gesetzt. Vielmehr ist es eine Beobachtung, eine negativ formulierte Regel, die die Wirklichkeit interpretiert: Wenn HUME recht hat - und die Ablehnung objektiver Werte spricht dafür -, hat das Konsequenzen für ein System moralischer Normen: Wir können nicht hoffen, aus der Wirklichkeit allein etwas über das, was zu tun ist, zu erfahren. Wissen ist nicht genug, um moralische Entscheidungen treffen zu können. Wir brauchen ein Weiteres.
Welche Möglichkeiten gibt es? Es gibt zwei. 1. Wir könnten einen normativen Satz voraussetzen, ein erstes Prinzip - obwohl wir wissen, daß es sich nicht logisch aus anderen Sätzen ableiten läßt: Es wäre logisch nicht begründbar. (Dass es nur ein Prinzip ist, fordert der angestrebte Wertmonismus, vgl. III.23.)
2. Wir könnten versuchen zu zeigen, daß ein normativer Satz gilt, der unabhängig von der Wirklichkeit ist, der a priori gilt. Das wagt KANT.
Die Stirn erklärt: 'Die Vernunft hält die Zügel fest in der Hand. Sie wird die Gefühle nicht ausbrechen lassen, um sie in wilde Abgründe zu stürzen. Die Leidenschaften mögen wüten und toben wie die wahren Heiden, die sie sind. Die Begierde mag sich allerlei Eitelkeiten ausdenken - aber in jedem Streit wird die Vernunft das letzte Wort, bei jeder Entscheidung die ausschlaggebende Stimme haben. Stürme, Erdbeben und Brände mögen kommen: Aber ich werde stets der leisen Stimme folgen, die mir sagt, was das Gewissen befiehlt.'
Gut gesagt, Stirn. Deine Erklärung soll gewürdigt werden.
Jane Eyre, Charlotte Bronte
„Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d.i. nach Prinzipien zu handeln, oder einen Willen. Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes als praktische Vernunft. Wenn die Vernunft den Willen unausbleiblich bestimmt, so sind die Handlungen eines solchen Wesens, die als objektiv notwendig erkannt werden, auch subjektiv notwendig, d.i. der Wille ist das Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch notwendig, d.i. als gut erkennt“ (GMS 32/412).
Der Wille ist das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze zu handeln. Der Wille ist das Vermögen, dasjenige zu wählen, was die Vernunft als gut erkennt. Der Wille ist lediglich die Fähigkeit zur richtigen Wahl - die Richtigkeit einer Wahl wird von der Vernunft ausgezeichnet. „Bestimmt aber die Vernunft für sich allein den Willen nicht hinlänglich, ist dieser noch subjektiven Bedingungen (gewissen Triebfedern) unterworfen, die nicht immer mit den objektiven übereinstimmen (…) Die Bestimmung eines solchen Willens objektiven Gesetzen gemäß ist Nötigung; d.i. das Verhältnis der objektiven Gesetze zu einem nicht durchaus guten Willen wird vorgestellt als die Bestimmung eines Willens eines vernünftigen Wesens zwar durch Gründe der Vernunft, denen aber dieser Wille seiner Natur nach nicht notwendig folgsam ist“ (GMS 32f/412f). Diese „subjektiven Triebfedern“ nennt KANT an anderer Stelle Neigungen. Neigungen sind die Wünsche, die aus der Beschaffenheit unserer Sinne und aus unseren Trieben (also Hunger ebenso wie Liebe) entspringen, wie man vielleicht sagen könnte. KANT stellt die Neigungen immer der Vernunft gegenüber: Sie üben ebenso wie die Vernunft Einfluß auf den Willen aus, bestimmen ihn mit.
„Die Vorstellung eines objektiven Prinzips, sofern es für einen Willen nötigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft) und die Formel des Gebots heißt Imperativ“ (GMS 33/413). „Imperativ“ ist der Name für die sprachliche Formulierung eines Gebots der Vernunft.
„Alle Imperativen werden durch ein Sollen ausgedrückt und zeigen dadurch das Verhältnis eines objektiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen an, der seiner subjektiven Beschaffenheit nach dadurch nicht notwendig bestimmt wird (eine Nötigung). Sie sagen, daß etwas zu tun oder zu unterlassen gut sein würde, allein sie sagen es einem Willen, der nicht immer darum etwas tut, weil ihm vorgestellt wird, daß es zu tun gut sei. Praktisch gut ist aber, was vermittelst der Vorstellungen der Vernunft, mithin nicht aus subjektiven Ursachen, sondern objektiv d.i. aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen als ein solches gültig sind, den Willen bestimmt. Es wird vom Angenehmen unterschieden als demjenigen, was nur vermittelst der Empfindung aus bloß subjektiven Ursachen, die nur für dieses oder jenes seinen Sinn gelten, und nicht als Prinzip der Vernunft, das für jedermann gilt, auf den Willen Einfluß hat“ (GMS 33/413).
Imperative sagen, was gut ist, nachdem die Vernunft darüber entschieden hat, und sie sagen es in der Form „du sollst“. Das Sollen wirkt nötigend auf den Willen; genaugenommen beschreibt KANT mit dem Begriff „Nötigung“ das Verhältnis der Vernunft zum Willen, der von der Neigung bestimmt wird. Nötigung setzt Widerstand voraus.1) Ein rein vernünftiges Wesen, das keine Neigungen hätte, würde nicht genötigt. Hier ist im Auge zu behalten, daß KANT „gut“ über die Vernunft definiert: Gut handeln ist gleichbedeutend mit rational handeln.
„Alle Imperativen nun gebieten entweder hypothetisch oder kategorisch. Jene stellen die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen vor. Der kategorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen anderen Zweck, als objektiv-notwendig vorstellte“ (GMS 34/414).
An dieser Stelle sind also die wichtigen Begriffe gefallen, auf die man die ganze Zeit gewartet hat: der „hypothetische“ und der „kategorische“ Imperativ. (KANTs weitere Untergliederung der Imperative ist hier nicht von Belang.)
„Weil jedes praktische Gesetz eine mögliche Handlung als gut und darum für ein durch die Vernunft praktisch bestimmbares Subjekt als notwendig vorstellt, so sind alle Imperativen Formeln der Bestimmung der Handlung, die nach dem Prinzip eines in irgendeiner Art guten Willens notwendig ist. (…) Der Imperativ sagt also, welche durch mich mögliche Handlung gut wäre, und stellt die praktische Regel in Verhältnis auf einen Willen vor, der darum nicht sofort eine Handlung tut, weil sie gut ist, teils weil das Subjekt nicht immer weiß, daß sie gut ist, teils weil, wenn es dieses auch wüßte, die Maximen desselben doch den objektiven Prinzipien einer praktischen Vernunft zuwider sein könnten“ (GMS 34f/414).
KANT unterscheidet implizit zwei Fälle, in denen eine Handlung gut genannt werden kann: Entweder sie entspricht einem hypothetischen Imperativ, oder einem kategorischen (oder beides). Was ist nun der Unterschied? Beide Imperative zeichen eine Handlung aus, aber der hypothetische Imperativ tut dies in Hinblick auf einen gewollten Zweck - der kategorische Imperativ tut dies unbedingt.2)
Ein Beispiel für einen hypothetischen Imperativ. Angenommen, Sie möchten autofahren, können es aber nicht. Ihre Vernunft sagt Ihnen, daß Sie in eine Fahrschule gehen und dort fahren lernen sollten. Vielleicht ist das mit gehörigem Zeitaufwand verbunden, es ist unbequem; Lust haben Sie daher wenig. Der hypothetische Imperativ könnte lauten: „Wenn Sie fahren lernen wollen, sollten Sie in eine Fahrschule gehen!“. Die Vernunft gibt an, welches Mittel zur Erreichung eines Zwecks gut ist. Die Vorstellung des Mittels, von dem die Vernunft sagt, daß es gut sei, Ihren Willen (nämlich zu fahren) zu erfüllen, muß sich nun gegen Ihre Neigungen durchsetzen, z.B. gegen die Bequemlichkeit oder die Unlust, viel Geld auszugeben oder was auch immer. Der Zusammenhang zwischen Autofahren und Fahrschule ist einem Naturgesetz vergleichbar: um Autofahren zu können, muß man es irgendwo lernen (das ist eine notwendige Bedingung), und der beste Ort dafür ist eine Fahrschule. Die Vernunft sieht die Gesetzlichkeit ein, die zwischen Lernen und Können besteht, und formuliert daraufhin den Imperativ. Innere Widerstände gegen den Imperativ kann man mit Fug als irrational bezeichnen. Insofern formuliert der hypothetische Imperativ ein objektiv-notwendiges Prinzip: Es gilt für jeden, der das gleiche Ziel hat. Jeder, der autofahren möchte, es aber nicht kann, sollte in eine Fahrschule gehen.
Die sprachliche Formulierung in wenn-dann-Form sollte nicht dazu verleiten, jeden wenn-dann-Satz, der ein Sollen im Nachsatz enthält, als hypothetischen Imperativ zu werten. Vielmehr ist entscheidend, daß ein Wollen im Bedingungssatz enthalten ist! Wenn der Vordersatz (der Bedingungssatz oder die „Protasis“, nach ARISTOTELES) ein Wollen enthält, gibt er das Ziel an, zu dem der Nachsatz (oder die „Apodosis“, nach ARISTOTELES) das Mittel nennt. Ein hypothetischer Imperativ hat also diese Form: „Wenn du dieses willst, tue jenes!“ (Anmerkung: Bei genauerer Lektüre der GMS ergeben sich Probleme bei der Bestimmung der Normalform des hypothetischen Imperativs, da KANT den hypothetischen Imperativ einen „analytisch-praktischen Satz“ nennt, was das Wollen betrifft. Die Analytizität des hypothetischen Imperativs ist umstritten.)
Ein kategorischer Imperativ ist ein unbedingter Imperativ. „Wie der Imperativ der Sittlichkeit [der kategorische Imperativ] möglich sei, ist ohne Zweifel die einzige einer Auflösung bedürftige Frage, da er gar nicht hypothetisch ist und also die objektiv-vorgestellte Norwendigkeit sich auf keine Voraussetzung stützen kann, wie bei den hypothetischen Imperativen“ (GMS 40/419). „Wir werden also die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs gänzlich a priori zu untersuchen haben“ (GMS 41/419).
„Denke ich mir aber einen kategorischen Imperativ, so weiß ich sofort, was er enthalte. Denn da der Imperativ außer dem Gesetze nur die Notwendigkeit der Maxime enthält, diesem Gesetze gemäß zu sein, das Gesetz aber keine Bedingung enthält, auf die es eingeschränkt war, so bleibt nichts als die Allgemeinheit eines Gesetzes überhaupt übrig, welchem die Maxime der Handlung gemäß sein soll, und welche Gemäßheit allein der Imperativ eigentlich als notwendig vorstellt“ (42/420f).
Ist das ein überzeugender Gedanke? Das Gesetz muß allgemein gültig sein, uneingeschränkt, dem die Maxime folgen soll? Die Bedingungslosigkeit des kategorischen Imperativs wird zum formalen Prinzip.
„Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde. [… Oder:] handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte“ (42f/421).
Nun, was bedeutet diese Forderung? Sie schränkt die möglichen Maximen ein, die man haben kann, wenn der eigene Wille von der Vernunft bestimmt wird. Man kann vernünftigerweise nur nach den Maximen handeln, von denen man wollen kann, daß sie zum „allgemeinen Naturgesetz“ werden. Wobei „Naturgesetz“ ganz wörtlich zu verstehen ist, als physikalisch beschreibbare Gesetzmäßigkeit.
Der kategorischen Imperativ wurde „unbedingt“ genannt. Das ist aber nicht ganz richtig: er ist lediglich nicht von einem Willen bedingt. Wie jede Maxime aber situationsbedingt ist, so ist auch der kategorische Imperativ bzw. die Maxime, die sich ergibt, wenn sie den Test des kategorischen Imperativs bestanden hat, situationsbedingt.
Bevor ich ein Beispiel gebe, eine Anmerkung zur Redeweise. KANT sagt zwar ausdrücklich, daß es nur einen einzigen kategorischen Imperativ gibt, nämlich den eben formulierten; tatsächlich ist es aber üblich (und auch KANT trennt nicht scharf), jeden Imperativ, der sich aus der Anwendung des kategorischen Imperativs auf eine Maxime ergibt, ebenfalls kategorisch zu nennen.
KANTs überzeugendstes Beispiel in der GMS ist die Frage, ob man ein Versprechen brechen darf: Die Maxime lautet „Wenn man ein Versprechen gibt, braucht man es nicht zu halten“. Eine Verallgemeinerung zeigt, daß, wenn dies allgemeines Gesetz würde (also jeder Versprechen als etwas betrachtete, dem er nicht verpflichtet wäre), der Begriff des Versprechens unsinnig wäre. Ein Versprechen ist nur dann eines, wenn ich weiß oder mit Recht erwarten kann, daß es gehalten wird. Wenn die Unverbindlichkeit eines gegebenen Versprechens allgemeines Gesetz würde, gäbe es keine Versprechen mehr. Es ist also nicht bloß ausgeschlossen, daß ich wollen kann, daß meine Maxime allgemeines Gesetz würde; es ist vielmehr logisch unmöglich!
Tatsächlich unterscheidet KANT zwei Möglichkeiten, wie eine Maxime durch den kategorischen Imperativ unmöglich werden könnte: „Man muß wollen können, daß eine Maxime unserer Handlung allgemeines Gesetz werde: dies ist der Kanon der moralischen Beurteilung derselben überhaupt. Einige Handlungen sind so beschaffen, daß ihre Maxime ohne Widerspruch nicht einmal als allgemeines Naturgesetz gedacht werden kann; weit gefehlt, daß man wollen könne, es sollte ein solches werden. Bei anderen ist zwar jene innere Unmöglichkeit nicht anzutreffen, aber es ist doch unmöglich zu wollen, daß ihre Maxime zur Allgemeinheit eines Naturgesetzes erhoben werde, weil ein solcher Wille sich selbst widersprechen würde“ (GMS 46/424).
Bevor ich mögliche Kritik daran nenne, sind die Ideen KANTs hervorzuheben: KANT verlangt, daß unsere Handlungsmaxime universalisierbar sein müsse. Was ich für mich als gültige Maxime zulasse, muß ich für jeden anderen ebenfalls als gültige Maxime zulassen können. Diese Feststellung gilt, nach KANT, a priori. Sie entspricht nicht etwa der „Goldenen Regel“ (was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!), da sie meine Maxime unabhängig davon beurteilt, ob ich damit überhaupt etwas jemand anderem zufüge (KANT fragt sich auch, ob man Selbstmord begehen dürfe - dieser Fall fällt nicht unter die Goldene Regel).
Zudem meint KANT, daß Moralität eine Forderung der Vernunft ist: Warum moralisch sein? Weil es vernünftig ist. Ob KANTs Verknüpfung von Vernunft und Moral überzeugend ist, sei dahingestellt. Warum vernünftig sein? Warum nicht? Wenn Moral auf Vernunft beruht (und auf sonst nichts), dann sind moralische Dilemmata und Konflikte prinzipiell entscheidbar.
Pflicht, im allgemeinen, besteht aus der treuen Erfüllung unseres Berufes. Wenn der Beruf der Frauen kein anderer als die Gesamtausbildung ihrer Natur, in bezug auf das Verhältnis zum geselligen Verbande genannt werden kann, so wird es der Frauen Pflicht, die ihnen von der Natur angewiesene Stellung in der Welt genau zu erkennen und alles erfassen zu lernen, was dieselbe würdig macht und edel. Je gebildeter die Frauen, desto leichter die Einsicht in ihre Pflicht, desto eher die bescheidene Anerkennung notwendiger Beschränktheit des moralischen Nachkommens, beim Weiterschreiten des männlichen Geistes; der persönlichen Unzulänglichkeit, und der daraus folgenden Abhängigkeit vom Manne, als einem Freunde und Führer.
Damen-Conversations-Lexikon, hg. von Carl Herloßsohn (1834-36)
Zunächst sei bemerkt, daß ich für die Darstellung ein paar Begriffe ausgelassen habe, die in der KANTkritik immer eine Rolle gespiel haben. Zum Beispiel den so vielgescholtenen Begriff der „Pflicht“, den KANT gebraucht und dem er seine Zuordnung zu den Deontologen verdankt. Moralisch sei es, wenn man aus Pflicht pflichtgemäß handle, nicht aus Neigung (vgl. GMS 14ff/397ff). Gutes (Pflichtgemäßes) aus Neigung zu tun, sei nicht moralisch. - Das ist ein geradezu groteskes Mißverständnis. Nach KANT handelt man dann aus Pflicht, wenn man rational handelt. Aus Neigung handelt man, wenn die Vernunft nicht in die Willensbildung eingegriffen hat. Man muss sich das so vorstellen: Die Entscheidung für eine Handlung steht an, beispielsweise, für einen guten Zweck zu spenden. Die Neigung geht dahin, dies zu tun. Man befragt seine Vernunft. Sie ist einverstanden (d.h., sie testet die Maxime, ob sie dem Kategorischen Imperativ gemäß ist). Sie formuliert einen entsprechenden Imperativ, dem man folgt. Damit hat man aus Pflicht gehandelt - und trotzdem neigungsgemäß (allerdings nicht aus Neigung). Eine unmoralische Handlung ist eine, bei der die Vernunft nicht die Entscheidung bestimmt. Das heißt: Jede Handlung, die aus Neigung vollzogen wird, ist unmoralisch, da die Entscheidung für sie formal der Moral nicht genügt. Das scheint mir durchaus sinnvoll.
Zur Kritik. Eben habe ich lässig gefragt: Warum rational sein - warum nicht? Aber tatsächlich hat KANT das Letztbegründungsproblem nur verschoben. Warum rational sein? Es scheint, daß an dieser Stelle keine Begründung möglich ist.
Aber das ist kein ernsthafter Einwand. Ich bin davon überzeugt, daß jedes moralische System mindestens einen Satz voraussetzt, der nicht a priori gegeben ist (obwohl KANT uns das weismachen will), und für den so etwas wie Evidenz zur Begründung herhalten muß. Die Frage, warum das so ist, ist eine andere Frage und soll ein anderes Mal gestellt werden.
Wichtiger scheint mir, daß KANTs kategorischer Imperativ nicht geeignet ist, moralische Konflikte aufzulösen. Tatsächlich lassen sich nicht bloß Maximen mit dem kategorischen Imperativ begründen, die für alle wünschenswert sind, sondern ebenfalls Maximen, die nur für einen wünschenswert sind. „Handle egoistisch!“ wäre eine solche Maxime: Ein Egoist könnte damit einverstanden sein, daß alle anderen Menschen auch egoistisch handeln. Tatsächlich werden dem kategorischen Imperativ als Entscheidungshilfe nur solche Maximen vorgelegt werden können, die bereits formuliert sind: Der kategorische Imperativ verbietet Maximen, er bildet keine neuen. Für den Fall, daß einander widersprechende Maximen durch den kategorischen Imperativ sanktioniert sind, bietet dieser keine Lösung. Einen Pflichtenkonflikt kann der kategorische Imperativ nicht entscheiden. KANT selbst plädiert in einem berühmten Beispiel dafür, daß dem kategorischen Imperativ „Du sollst nicht lügen“ selbst dann zu folgen sei, wenn einem Freund dadurch Schaden an Besitz und Leib nähme. Das zeigt, daß KANTs Idee von der Verallgemeinerung moralischer Maximen nicht ausgegoren ist. KANT beging dabei zusätzlich den Irrtum (der nicht seinem kategorischen Imperativ anzulasten ist), anzunehmen, ein kategorischer Imperativ müsse so allgemein und einfach wie möglich sein.
KANTs kategorischer Imperativ ist im Grunde ein metaethisches Prinzip. Und für metaethische Prinzipien gilt, daß sie nur selten Einfluß auf den Inhalt normativ-ethischer Prinzipien haben. Aus Sätzen zweiter Ordnung lassen sich keine Sätze erster Ordnung ableiten. Ohne inhaltliche Prämissen kommen wir nicht aus. Bei KANT stecken die inhaltlichen Prämissen im Detail und bleiben ungenannt (und wurden auch nicht referiert). Dazu gehören seine merkwürdige teleologische Weltsicht (vgl. GMS 12f/395f), die die Frage „Warum rational sein?“ beantwortet, ebenso seine Annahme, daß man keine Maximen als Naturgesetz wollen könne, die jedem für sich nützen (das Egoisten-Beispiel), oder die idealistische Annahme, daß alle Menschen gleich sind (eine Maxime, die ein Masochist wollen kann, wäre mir vielleicht nicht recht). Und sollte nicht ein kategorischer Imperativ auch moralische Bedenken z.B. gegen Tierquälerei begründen können?