Fort mit deinem alten Laster!
Allen Mißmut ausgefegt!
Für die Wunden, die es schlägt,
Reicht das Leben auch das Pflaster.
Riß der Strom hinweg die Brücke,
Mutig in den Kahn hinein!
Nahm die Kugel dir das Bein,
Greife rüstig nach der Krücke!
D. J. Strauß: Mut!
Wenigstens einmal will ich eine Darstellung von einem historischen Gesichtspunkt aus beginnen - vom Gesichtspunkt des ARISTOTELES. Die meisten philosophischen Probleme sind von ARISTOTELES schon einmal angesprochen worden; darunter ist auch eines, das nun direkt berührt. Das zu untersuchende Problem ist: Widerspricht die Vorstellung einer Determiniertheit der Welt dem Gedanken moralischer Verantwortlichkeit? Sie scheint es zu tun, so daß verschiedene Denker - wenn sie Wert darauf legten, daß man für seine Handlungen verantwortlich sein kann - versucht haben zu beweisen, daß der Handelnde (als Handelnder) nicht „determiniert“ ist.
Aber genauer.
„Als unfreiwillig gilt, was unter Zwang oder aus Unwissenheit geschieht. […] Taten aber, die aus Angst vor noch größerem Unheil oder für ein edles Ziel ausgeführt werden - wenn z.B. ein Tyrann jemandem ein Verbrechen zu tun befiehlt, dessen Eltern und Kinder in seiner Gewalt hat und wenn diesen im Falle der Ausführungen der Tat das Leben geschenkt, sonst aber verwirkt wäre - lassen die Streitfrage entstehen, ob sie unfreiwillig oder freiwillig sind. […] Solche Handlungen haben also einen Mischcharakter, stehen aber näher dem Freiwilligen, denn im Augenblick des Vollzugs besteht die Freiheit der Wahl […]. Also muß man von „freiwillig“ und „unfreiwillig“ sprechen in Hinblick auf den Zeitpunkt des Handelns. Der Mensch handelt aber freiwillig. Denn das Prinzip, das die dienenden Glieder des Leibes bei solchem Handeln bewegt, ist im Menschen, und immer da, wo das bewegende Prinzip im Menschen liegt, steht es auch in der Macht des Menschen zu handeln oder nicht zu handeln. So ist denn dieses Handeln freiwillig“ (44/1110a).
Es sei noch angemerkt, dass Aristoteles natürlich auch zum Thema Unwissenheit und Verantwortung einiges Vertiefende zu sagen hat, das ich hier aber übergehe. Das Zitat hier und im Folgenden aus der Nikomachischen Ethik.
Nach ARISTOTELES ist ein Mensch nur dann für sein Handeln zu tadeln oder zu loben, wenn er nicht aus Zwang und nicht unfreiwillig gehandelt hat. Einem freiwillig Handelnden kann man unterstellen, daß er aufgrund von Überlegung sich zur Handlung entschieden hat.
Was ARISTOTELES mit der Zuschreibung von Lob und Tadel umschreibt, ist Verantwortlichkeit. Jemanden verantwortlich zu nennen, setzt eine bestimmte Meinung über dessen Tun voraus, nämlich: daß es freiwillig geschah.
I know monks masturbate at night,
That pet cats screw,
That some girls bite,
And yet
What can I do
To set things right?
Ernest Hemingway: The Earnest Liberal's Lament
Auch die grundlegende Idee des Determinismus näherzubringen, wollen wir mit einer recht früh - von der Gegenwart aus betrachtet - formulierten Ansicht beginnen, nämlich der David HUMEs. (Die Auswahl der Zitate mag etwas unfair scheinen; aber sie soll auch dazu dienen, über sich hinaus auf die Tatsache zu weisen, daß die Idee der Determination menschlichen Handelns aus einer Zeit stammt, in der es noch ganz klar war, daß Frauen „zart“ und „weich“ sind und Männer „kraftvoll“ und „reif“. Die Zitate stammen aus dem Treatise of Human Nature, nach der Übersetzung von Lipps. Seitenzahlen nach der englischen Ausgabe.)
HUME erklärt zunächst Kausalität, wie wir sie in der Natur wahrnehmen: „Es wurde früher gezeigt, daß in keinem einzigen Fall das letzte Wesen der Verknüpfung irgendwelcher Gegenstände entdeckt werden kann, weder durch unsere Sinne, noch durch unsere Vernunft; wir können niemals tief genug in das Wesen der Materie und die Zusammensetzung der Körper eindringen, um das Prinzip zu gewahren, von dem ihre wechselseitige Wirkung abhängt. Wir kennen nur ihre beständige Verbindung; und aus dieser erwächst die Vorstellung der Notwendigkeit. Ständen die Gegenstände nicht in gleichförmiger und regelmäßiger Verbindung miteinander, so kämen wir niemals zu einer Vorstellung von Ursache und Wirkung. Und schließlich ist die Notwendigkeit, die in dieser Vorstellung enthalten ist, gar nichts anderes als die Nötigung des Geistes, von einem Gegenstand auf seinen gewöhnlichen Begleiter überzugehen, und auf das Dasein des einen aus dem des anderen zu schließen.“ (S. 400)
Kausalität ist also nicht etwas, das in der Welt ist, sondern eine Zuschreibung durch die Vernunft, wenn zwei Ereignisse jedesmal in „beständiger Verbindung“ wahrgenommen werden. Daraus leitet HUME den Begriff der „Notwendigkeit“ ab: Notwendig ist etwas dann, wenn die Ursache vorhanden ist und die Vernunft aufgrund der angenommenen kausalen Verbindung daraus die Wirkung vorhersieht (die dann auch eintritt). „Die Tätigkeiten der Materie müssen also als Beispiele notwendiger Tätigkeiten angesehen werden, und alles, was in dieser Hinsicht der Materie gleichsteht, muß als notwendig erkannt werden.“
„Notwendigkeit“ läßt sich durch Naturgesetze beschreiben, als „Gesetze“ also, die nicht als Vorschrift aufgefaßt werden dürfen. (KANT hat einen ganz ähnlichen Begriff von „Gesetz“.) Die Himmelskörper wären 'frei', wenn sie nicht „durch ein absolutes Fatum zu einer bestimmten Stärke und Richtung ihrer Bewegung genötigt“ wären, sondern sich unvorhersehbar anders bewegen könnten.
HUME fragt nun, ob sich dieser Begriff der Notwendigkeit auch auf die menschliche Natur übertragen läßt.
„Für jenen nun genügt ein ganz flüchtiger und allgemeiner Blick auf den gewöhnlichen Verlauf der menschlichen Angelegenheiten. Von welchem Gesichtspunkt aus wir sie auch betrachten, immer werden wir das Prinzip der beständigen Verbindung bestätigt finden. Wenn wir die Menschheit betrachten in ihren Unterschieden des Geschlechts, des Alters, der Regierungen, der äußeren Lebensbedingungen, der Erziehung, immer gibt sich dieselbe Gleichförmigkeit und regelmäßige Wirksamkeit natürlicher Prinzipien zu erkennen. Gleiche Ursachen erzeugen überall gleiche Wirkungen, genauso wie bei der wechselseitigen Wirkung der Elemente und Naturkräfte. Bestimmte voneinander verschiedene Bäume bringen regelmäßig Früchte hervor, die einen verschiedenen Geschmack haben; diese Regelmäßigkeit läßt man als Beispiel dafür gelten, daß in den Körpern der Außenwelt Notwendigkeit und Ursächlichkeit bestehe. Aber sind die Erzeugnisse von Guyana und der Champagne in regelmäßigerer Weise voneinander verschieden, als die Gefühle, Handlungen und Affekte der beiden Geschlechter, von denen die einen [Gefühle, Handlungen…] durch ihre Kraft und Reife, die anderen durch ihre Zartheit und Weichheit ausgezeichnet sind? […] Ist es sicherer, daß zwei ebene Marmorstücke aneinander haften, als daß zwei junge Wilde verschiedenen Geschlechtes sich vereinigen werden? […] Haut, Poren, Muskeln und Nerven eines Tagelöhners sind von denen eines vornehmen Mannes verschieden; aber seine Gefühle, Handlungen und Gebarensweisen sind es auch. Die verschiedene gesellschaftliche Stufe beeinflußt das ganze Geschöpf, innerlich wie äußerlich. Solche verschiedenen gesellschaftlichen Stufen aber ergeben sich mit Notwendigkeit, weil in gleichförmiger Weise, aus den notwendig wirkenden und gleichartigen Prinzipien der menschlichen Natur.“ (401f.)
HUME nimmt den möglichen Einwand selbst vorweg:
„Ich kann mir nur einen Weg denken, dieser Beweisführung zu entgehen. Er besteht darin, daß man die Gleichförmigkeit menschlicher Handlungen, auf der sie beruht, leugnet. […] Nun mögen manche einen Vorwand finden, um diese regelmäßige Verbindung und Beziehung zu leugnen: Was ist unberechenbarer als menschliche Handlungen? Was unbeständiger als die Wünsche des Menschen? Und welches Geschöpf weicht mehr, nicht nur von der gesunden Vernunft, sondern auch von seinem Charakter und seiner Eigenart ab? Eine Stunde, ein Augenblick genügt, um ihn von einem Extrem ins andere zu treiben, und das umzustoßen, was er vorher mit großer Mühe errichtet hat. Notwendigkeit nun ist regelmäßig und sicher. Das menschliche Handeln aber ist unregelmäßig und unsicher. Das eine kann also nicht aus dem anderen hervorgehen. Hierauf antworte ich: Bei der Beurteilung menschlicher Handlungen müssen wir nach denselben Grundsätzen verfahren, nach denen wir äußere Gegenstände betrachten. Sind irgendwelche Erscheinungen beständig und unabänderlich miteinander verbunden, so gewinnen sie in der Einbildungskraft einen solchen Zusammenhang, daß dieselbe ohne jedes Zögern und Bedenken von der einen zu der anderen übergeht. Daneben aber gibt es viele niedrigere Grade von Gewißheit und Wahrscheinlichkeit. Eine einzelne widersprechende Beobachtung kann unseren Schluß nicht ganz zerstören. Sondern der Geist wägt die sich widersprechenden Beobachtungen gegeneinander ab, und geht, indem er dabei den niedrigeren Gewißheitsgrad von dem höheren abzieht, mit dem übrig bleibenden Grad von Sicherheit und Gewißheit vor. Und auch, wenn die einander widersprechenden Beobachtungen einander völlig gleichwertig sind, geben wir die Vorstellung der Kausalität nicht völlig auf, sondern nehmen an, daß der vorhandene Widerspruch aus der Wirksamkeit einander entgegenwirkender und verborgener Ursachen entspringe, und schließen, daß der Zufall oder die Indifferenz nur in unserem, auf ungenügendem Wissen beruhenden Urteil liege, nicht aber in den Dingen selbst. Diese sind immer gleich notwendig, wenn auch dem Anschein nach nicht beständig oder sicher. Keine Verbindung aber ist beständiger und sicherer als die Verbindung gewisser Handlungen mit gewissen Motiven und Charakteren.“ (403f.)
Wenn wir eine Sache durchschauen, sehen wir die Sache nicht, müssen wir sagen, andererseits sieht niemand anderer die Sache, denn wer eine Sache nicht durchschaut, sieht die Sache auch nicht. Der gleichen Ansicht war Karrer.
Gehen, Thomas Bernhard
Das Problem ist nun, ob Freiwilligkeit in aristotelischem Sinne als Bedingung für Verantwortlichkeit von einer Determination des Willens durch Motive und Charakter, welche ihrerseits, wie HUME ausführt, durch Gesellschaft usw. determiniert sind, ausgeschlossen wird. Wenn der Wille determiniert ist, dann ist er nicht frei. Ist Freiheit denn unabdingbar für Verantwortung? Wenn sie es ist und die Welt determiniert ist, warum sollte man dann darüber nachdenken, was zu tun richtig ist?
Die verschiedenen Ansichten lassen sich unter folgende Thesen zusammenfassen (möglicherweise ist die Liste nicht erschöpfend):
Determinismusthesen
D1 Die Welt (und damit der menschliche Wille) ist vollständig kausal determiniert; daher gibt es so etwas wie Verantwortung nicht. Vielleicht sollten wir unser Strafrecht überdenken.
D2 Der Wille ist vollständig determiniert; nur so ist Verantwortung überhaupt möglich.
D3 Die Welt als Ganzes ist vielleicht nicht determiniert, aber der Mensch (der menschliche Wille) ist es.
Indeterminismusthesen
I1 Der Mensch hat einen freien Willen, d.h. sein Wille kann etwas (kausal) verursachen, ohne selbst vollständig verursacht zu sein. Nur so ist Verantwortung möglich.
I2 Die Welt als Ganzes ist nicht determiniert, also ist es der Wille auch nicht.
Kompatibilismusthesen
K1 Die Welt ist determiniert, aber in einem relevanten Sinne ist der Mensch frei zu handeln wie er will; darum braucht das Konzept Verantwortung nicht aufgegeben zu werden.
K2 Die Welt mag determiniert sein, aber ob sie es ist oder nicht, kann keinen Einfluß auf unser Verhalten (der Zuschreibung von Verantwortung) haben.
Agnostizismusthese
A Weder Determinismus noch Indeterminismus sind beweisbar.
Die angeführten Thesen sind nicht bloß inhaltlich, sondern strukturell verschieden. Sie behaupten in unterschiedlicher Weise, und sie tun dies, wie es scheint, aus völlig unterschiedlichen Gründen.
Man wird unter dem falschen Zeichen geboren, und mit Würde auf der Welt sein heißt Tag für Tag sein Horoskop korrigieren.
Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel
HARE hat treffend festgestellt: „Sicher dürfte jedenfalls sein, daß die Moralphilosophie, für den Fall, daß sie sich, wie ich annehme, auch ohne Ontologie betreiben läßt, erheblich einfacher wird“ (MD 45). Aber dürfen wir es uns so leicht machen? Der Determinismus ist in jedem Fall eine starke These; er sagt etwas darüber, wie die Welt (der Mensch) ist und wirft, neben dem Problem der Verantwortlichkeit, einige weitere Probleme auf, die hier kurz angedeutet seien.
Der Determinist müßte erklären können, in welcher Weise die Welt kausal für mentale Zustände (oder wie immer er den Willen beschreiben will) wirken kann. Er müßte sich also auf eine bestimmte Position festlegen im Streit um den Dualismus von mentalen und physischen Phänomenen. Wenn er einem mechanistischen Weltbild anhängt, wenn also kausale Verursachungen seiner Meinung nach nur naturgesetzlich Beschreibbares sein sollen, dann sind mentale Zustände eine Art physischer Zustände. - Es ist allerdings nicht so, daß Indeterministen das Problem nicht hätten: Sie müßten, wenn sie den Handelnden bzw. dessen Willen als prima causa angeben, ebenfalls erklären, wie der Wille kausal wirksam werden kann. Über den Zusammenhang von mentalen und physischen Zuständen - die Ungeschicktheit dieser Formulierungen drückt das aus - ist aber längst nicht das letzte Wort gesprochen, es ist ja nicht einmal klar, was diese „Zustände“ sein sollen.
Eine weitere ontologische Implikation ist die Erste Ursache: Wenn alles kausal determiniert ist, dann muß es einen Ersten Beweger oder eine Erste Ursache gegeben haben (zumindest, wenn wir nur eine erste Ursache annehmen - sonst wird's noch komplizierter).
Aber die beiden Geständnisse, wenn sie auch das Wie und Warum erklärten, ließen ihn doch unbefriedigt, weil kein eigentlicher Sinn in dem Ganzen zu erkennen war. Das Verbrechen war ein psychologischer Unfall, es war ein Akt, der im Grunde genommen mit den Personen selbst nichts zu tun hatte; die Opfer hätten ebensogut durch einen Blitzschlag getötet worden sein können.
Kaltblütig, Truman Capote
Wir haben die grundlegenden Ideen des Determinismus durch HUME kennengelernt. Es mag sein, daß HUME nicht der überzeugendste Verfechter eines zeitgemäßen Determinismus' ist, aber er ist derjenige, der auf die Idee kam, daß Determinismus eine notwendige Bedingung für Verantwortung wäre.
„Das Objekt von Haß und Zorn ist allgemein und jederzeit ein mit Denkfähigkeit und Vernunft begabtes Wesen; und wenn irgendwelche verbrecherische oder schädliche Handlungen jene Affekte hervorrufen, so geschieht dies nur vermöge ihrer Beziehung zu einem solchen Wesen oder vermöge ihres Zusammenhangs mit demselben. Durch die Lehre von der Freiheit oder der Zufälligkeit aber wird dieser Zusammenhang auf nichts reduziert. Ihr zufolge sind also die Menschen nicht verantwortlicher für Handlungen, die absichtlich und vorbedacht sind, als für solche, die ganz zufällig und unbedacht geschehen. Handlungen sind ihrem eigentlichen Wesen nach etwas Vorübergehendes und Vergängliches. Wenn sie nicht aus einer Ursache entspringen, die in dem Charakter oder Temperament der sie vollbringenden Person liegt, so haften sie derselben nicht an, und können, wenn sie gut sind, ihr nicht zur Ehre, und wenn sie schlecht sind, ihr nicht zur Schande gereichen. Die Tat als solche mag immerhin tadelnswert sein, sie mag allen sittlichen und religiösen Vorschriften zuwiderlaufen, aber die Person ist nicht dafür verantwortlich. Da die Tat nicht aus etwas hervorging, das dauernd und beständig in ihr ist, und da sie auch nichts dergleichen hinterläßt, so ist es unmöglich, daß die Person deswegen Gegenstand der Strafe oder Rache werde. Nach der Freiheitshypothese ist also ein Mensch, nachdem er die scheußlichsten Verbrechen begangen hat, ebenso rein wie im ersten Augenblick seiner Geburt. Sein Charakter ist ja bei seinen Handlungen gar nicht im Spiel; dieselben entspringen nicht aus ihm, und ihre Schlechtigkeit kann demnach niemals als Beweis seiner eigenen Verworfenheit dienen. Nur wenn das Prinzip der Notwendigkeit Geltung hat, gewinnt ein Mensch durch seine Handlungen Wert oder Unwert, mag dies auch der allgemeinen Meinung noch so sehr zuwiderlaufen.“
Soweit HUME. Der Gedanke ist ganz einfach: Nur wenn der Wille nicht eine erste Ursache für die Handlung ist, sondern seinerseits durch Motive oder Charakter verursacht ist, wird die Handlung Ausdruck der Person, die gehandelt hat. Nur wenn die Handlung Ausdruck der Person ist, kann die Person für Handlungen verantwortlich gemacht werden. Das ist schon darum ein faszinierender Gedanke, weil wir heute das Determinismus-Problem andersherum aufzäumen: Gerade der Determinismus gefährdet den Begriff der Verantwortung, denn ein handelndes Ich kommt nur in Freiheit zum Vorschein.
Denke daran, daß der Mensch des Menschen Feind ist
und daß er sinnt auf Vernichtung.
Denke daran immer, denke daran jetzt,
während eines Augenblicks im April,
[…]
Denke daran, daß nach großen Zerstörungen
jedermann beweisen wird, daß er unschuldig war.
[…]
Denke daran, daß du schuld bist an allem Entsetzlichen,
das sich fern von dir abspielt -
Günter Eich: Denke daran…
HUMEs Argument ist kurzschlüssig. Zum einen würde wohl niemand mehr Freiheit mit Zufall (= keine kausale Verursachung) gleichsetzen. Daß frei gewolltes Handeln gleichwohl absichtlich geschieht und daß diese Absichtlichkeit der Grund für die Zuschreibung von Verantwortung an den Handelnden ist, hat schon ARISTOTELES gewußt; HUME scheint es vergessen zu haben. Ein Indeterminist müßte nurmehr erklären, wie Absichten zustandekommen, die nicht determiniert sind. Diese Form von Freiheit ist das krasse Gegenteil von „Zufälligkeit“, also von dem, was HUME unter Freiheit versteht. Zum anderen sind, nach HUME, ja auch die Motive und Charakterzüge determiniert - wenn man die Kausalkette zurückverfolgt, kommt man irgendwann bei Ursachen an, die außerhalb des Menschen liegen. Warum sollte man Verantwortung für irgendein Glied einer Kausalkette einem Medium zuschreiben, durch das diese Kausalkette hindurchgeht? (Ich weiß, die Metaphorik ist schief!)
HUMEs Determinismusthese entspricht der These D2 (s.o. XII.13). Man sieht, daß diese These ihren Grund in zweierlei hat: Zum einen ist die Vorstellung von Notwendigkeit durch ein bestimmtes Bild der Natur geprägt; zum anderen soll trotz dieses deterministischen Naturbildes Verantwortung möglich sein. Dazu wird das Konzept der Freiheit als Fehlen jeglicher Ursachen ad absurdum geführt - ob tatsächlich einmal jemand einen solchen Begriff von Freiheit als unabdingbar für Verantwortung angesehen hat, weiß ich nicht. HUMEs Determinismusthese weist die gleiche Schwäche auf wie die These D1, da beide die Determination des menschlichen Willens aus der angenommenen Determination der Welt ableiten. Seit der Entdeckung der Indeterminiertheit mikrophysikalischer Sachverhalte, die das Bild der modernen Physik bestimmen, ist eine solche Argumentation - bis auf weiteres - nicht mehr überzeugend möglich. Determinismus kann lediglich mit der metaphysischen Zusatzannahme, daß - für uns zur Zeit nicht wahrnehmbar - auf einer anderen Ebene alles determiniert sei (beispielsweise könnte sich die physikalische Indeterminiertheit durch irgendein neues Modell oder durch vierdimensionale Zusammenhänge als Täuschung herausstellen). Das wäre allerdings recht weit entfernt von der Vorstellung, von der Hume ausging, daß nämlich die beobachtbare Determination der Natur ein Hinweis darauf sei, daß die Welt und in ihr der Mensch determiniert sei.
Zum anderen könnte die Determinismusthese partiell aufrechterhalten werden in der Form D3. Denn das Problem der Verantwortlichkeit stellt sich auch, wenn außer dem menschlichen Willen nichts determiniert ist. Psychologische Forschungen lassen immer deutlicher erkennbar werden, daß der menschliche Geist in Gesetzmäßigkeiten beschrieben werden kann. Ob diese Beschreibung einmal genau genug sein wird, so daß von einem „Determinismus“ gesprochen werden kann, ist eine andere Frage; es wäre aber möglich, daß der menschliche Geist in ähnlicher Weise indeterminiert ist, wie die Natur es uns zu sein scheint.
Die These I2 scheint mir nicht beweisbar zu sein. Für sie lassen sich empirische Tatsachen anführen, aber da wir nicht wissen, ob es alle Tatsachen sind, können wir nicht die Indeterminiertheit der Welt deduzieren. Ein beliebtes Argument von Nichtphilosophen in der Frage der Willensfreiheit ist die Intuition, daß wir doch frei entscheiden - wir haben zumeist das grundlegende Gefühl, daß unsere Entscheidung nur von uns getroffen wird und zwar vielleicht von den Umständen begründet ist (weil wir gerne rational handeln), aber nicht verursacht. Dieses Argument ist, wie viele Intuitionen, als Beweis völlig unbrauchbar. Denn daß wir das Gefühl haben, etwas sei der Fall, sagt nichts darüber, ob es tatsächlich der Fall ist: Von einer Meinung läßt sich nicht auf die Tatsachen schließen. Wie könnten wir sonst irren?
Interessanter ist da schon der Versuch von Roderick CHISHOLM, der für die Wahrheit der Indeterminismusthese I1 Gründe beizubringen sucht.
CHISHOLM beginnt bei einer Idee von MOORE, daß Verantwortung dann möglich ist, wenn der Satz „Er hätte anders handeln können“ so interpretiert werden kann, daß er besagt „Wenn er gewählt hätte, anders zu handeln, dann hätte er anders gehandelt“. Es ist offensichtlich, daß diese Interpretation von „Er hätte anders handeln können“ nicht besonders stark ist, denn sie bedeutet lediglich, daß der Handelnde nicht durch äußere Zwänge an der Handlung gehindert worden ist - sie sagt nichts darüber, ob der Handelnde fähig war, etwas anderes zu wollen. „Selbst wenn alle Handlungen des Menschen ursächlich bestimmt wären, könnte der Mensch immer noch dergestalt sein, daß er, falls er etwas anderes beschlossen hätte, auch anders gehandelt hätte. Nehmen wir an: Was der Mörder im Zusammenhang mit seinen Überzeugungen und Wünschen sah, bewirkte, daß er den Schuß abfeuerte; jedoch war er in der Lage, daß er, falls er es vorgezogen oder beschlossen hätte, genau zu diesem Zeitpunkt den Schuß nicht abzufeuern, ihn dann auch nicht abgefeuert hätte“ (357f). Demgegenüber meint CHISHOLM, daß Willensfreiheit weit mehr bedeutet. Sie bedeutet allerdings auch nicht, daß die Handlung unverursacht vollzogen wurde: „Falls der Akt - das Abfeuern des Schusses - überhaupt nicht verursacht war, falls er einfach zufällig war, sozusagen 'aus heiterem Himmel' geschehen, dann war vermutlich niemand - und nichts - für den Akt verantwortlich“ (359). Damit wendet er sich gegen das gleiche Zerrbild von „Freiheit“, gegen das auch schon HUME sich gewandt hatte. Willensfreiheit kann nicht Freiheit von Kausalität meinen.
„Wir dürfen nicht sagen, daß jedes in einem Akt involvierte Ereignis durch ein anderes Ereignis verursacht ist, und wir dürfen nicht sagen, daß die Handlung etwas ist, was überhaupt nicht verursacht ist. Was bleibt, ist daher folgende Möglichkeit: Wir sollten sagen, daß mindestens eines der in die Handlung involvierten Ereignisse nicht durch irgendwelche Ereignisse, sondern statt dessen durch etwas Anderes verursacht wurde. Und dieses Andere kann nur der Handelnde sein - der Mensch. Wenn es ein Ereignis gibt, das nicht durch andere Ereignisse, sondern durch den Menschen verursacht wurde, dann gibt es in die Handlung involvierte Ereignisse, die nicht durch andere Ereignisse verursacht sind. Aber falls das fragliche Ereignis vom Menschen verursacht ist, dann ist es verursacht, und dann brauchen wir daher nicht zu sagen, daß etwas in der Handlung überhaupt nicht verursacht ist“ (359).
Ein möglicher Einwand gegen diese Theorie wäre es, zu fragen: „Wenn, als der Handelnde machte, daß A [ein Ereignis] geschah, kein anderes Ereignis als A selbst involviert war, keines, daß als 'Machen, daß A' beschrieben werden könnte, worin bestand dann die Ursächlichkeit des Handelnden? Wodurch unterscheidet es sich beispielsweise, ob A einfach so geschieht, oder ob der Handelnde das Eintreten von A verursacht? […] Müssen wir dann schließen, daß die Handlung, das Eintreten von Ereignis A zu verursachen, nicht mehr beinhaltet, als wenn Ereignis A von selbst geschieht?“ (363) - ein guter Einwand, aber kein schwerwiegender, da er auf jede Form von Verursachung angewandt werden kann. Das heißt: Das Problem ist dadurch nicht gelöst, aber es ist kein Problem, daß nur dem CHISHOLMschen Modell eignet: „Worin liegt der Unterschied, wenn man von zwei Ereignissen A und B sagt, daß B geschah und dann A geschah oder wenn man sagt, daß das Eintreten von B die Ursache des Eintretens von A war?“ (364).
„Aber wir können plausibel sagen - und es gibt eine ansehnliche philosophische Tradition, auf die wir uns berufen können -, daß […] wir den Begriff der Ursächlichkeit überhaupt nur über das Verstehen unserer eigenen kausalen Wirksamkeit als Handelnde erfassen können. Man mag sagen, daß Hume gezeigt hat, daß wir unseren Begriff von Ursächlichkeit nicht von dem ableiten, was wir an äußeren Dingen wahrnehmen. Wie leiten wir ihn dann ab? Mir scheint, daß der plausibelste Vorschlag […] der von Reid ist: Daß nämlich 'der Begriff einer wirksamen Verursachung sehr wahrscheinlich von einer Erfahrung abgeleitet werden kann, die wir gemacht haben … bezüglich unserer eigenen Macht, bestimmte Wirkungen zu erzielen'“ (365).
„Falls wir verantwortlich sind, und falls das wahr ist, was ich eben versucht habe zu sagen, dann haben wir ein Vorrecht, das einige nur Gott zuschreiben würden: Wenn wir handeln, ist jeder von uns ein primum movens immotum. Während wir das tun, was wir eben tun, verursachen wir bestimmte Ereignisse, und nichts - oder niemand - verursacht, daß wir jene Ereignisse verursachen. Falls wir also ein primum movens immotum sind, und falls unsere Handlungen bzw. jene, für die wir verantwortlich sind, nicht ursächlich bestimmt sind, dann sind sie nicht ursächlich bedingt durch unsere Wünsche. Und das bedeutet, daß die Beziehung zwischen dem, was wir wollen bzw. was wir wünschen auf der einen Seite, und dem, was wir eigentlich tun auf der anderen Seite, nicht so einfach ist, wie es die meisten Philosophen darstellen würden“ (366).
CHISHOLMs These des handelnden Menschen als Ersten Beweger widerspricht zwar in gewisser Weise dem Determinismus, beantwortet aber nicht die Frage, ob der Wille frei ist. Können wir wollen, was wir wollen? Sind wir frei zu wollen?
Die Offenheit dieser Frage ist ein Problem, wenn CHISHOLM recht hat, da unsere Wünsche zwar Gründe für eine Handlung sein mögen, aber nicht hinreichende Ursachen sein können. Die Verbindung zwischen Wunsch und Handeln scheint prima facie nicht logischer Natur, ansonsten könnten wir aus einem bekannten Wünschen und der vollständigen Beschreibung der Situation, in der sich der Wollende befindet, die Handlung deduzieren (was gleichbedeutend mit der Wahrheit der deterministischen These ist). Das hat die erstaunliche Folge, daß wir in manchen Fällen - wenn der Wunsch kontingenterweise die Ursache der Handlung ist - jemandem die Verantwortung absprechen müßten und in manchen Fällen nicht, wenn nämlich der Wille sich vom Wunsch löst und „frei“ entscheidet.
[56] Einige Philosophen haben versucht, Determinismus und Verantwortung als einander nicht widersprechende Positionen auszuweisen, so daß wir ein deterministisches Weltbild haben könnten, ohne deshalb unseren Begriff von Verantwortung aufgeben zu müssen.
[57] Man kann dies in der Weise tun, wie es AYER versucht. Das Argument läuft darauf hinaus: Die These des Determinismus besagt nicht, daß ich in der Auswahl meiner Handlungsmöglichkeiten, d.h. in meiner Entscheidung, so zu handeln, beschränkt bin. „That all causes equally necessitate is indeed a tautology, if the word 'necessitate' is taken merely as equivalent to 'cause': but if, as the objection requires, it is taken merely as equivalent to 'constrain' or 'compel', then I do not think that this proposition ist true. […] Suppose, for example, that a psycho-analyst is able to account for some aspect of my behaviour by referring it to some lesion that I suffered in my childhood. In that case, it may be said that my childhood experience, together with certain other events, necessitates my behaving as I do. But all that this involves is that it is found to be true in general that when people have had certain experiences as children, they subsequently behave in certain specifiable ways; and my case is just another instance of this general law. It is in this way indeed that my behaviour is explained. But from the fact that my behaviour is capable of being explained, in the sense that it can be subsumed under some natural law, it does not follow that I am acting under constraint“ (21f).
[58] Es scheint nicht nur so, daß die Deterministen den Freiheitsbegriff der Indeterministen mißverstehen und - indem sie Implikationen des mißverstandenen Begriffs zu vermeiden suchen - dadurch einen Grund für ihr Determinismus-Plädoyer erhalten. AYERs Lösungsvorschlag verweist darauf, daß die Indeterministen zumeist auch den Determinismusbegriff mißverstehen. Determinismus, wie AYER das Wort gebraucht, und Indeterminismus, wie CHISHOLM das Wort gebraucht, schließen einander nicht aus: AYER sagt, daß Determinismus lediglich bedeute, daß jede Handlung als zugehörig zu einem gewissen Handlungstyp erklärt werden könne aufgrund der sichtbaren Gründe für eine Handlung, während CHISHOLM mit Indeterminismus meint, daß der Handelnde in manchen Fällen die Ursache (der Kausalgrund) seiner Handlung sei. In beiden Fällen ist nichts über Verantwortung gesagt, da es ein Gemeinplatz ist, daß Verantwortung über bloße kausale Verursachung hinausgeht. Die Verknüpfung von Verantwortung mit der Idee des freien Willens bleibt also von diesen Thesen unangetastet - Determinismus verhält sich den Begriffen Willensfreiheit und Verantwortung gegenüber indifferent.
[59] Unabhängig davon, ob AYER recht hat mit der Feststellung, daß eine Handlung immer erklärt werden kann (wir sollten diese These vielleicht D4 nennen, da sie neu ist in dem Bemühen, den irreführenden Begriff „Determination“ zu vermeiden, der suggeriert, die Notwendigkeit einer Handlung zwinge uns zu irgendetwas), gibt es aber gute Gründe anzunehmen, daß Determinismus und Verantwortung miteinander vereinbar sind.
Diese Rätsel sind unlösbar, selbstverständlich, aber sind sie denn so wichtig?
Hermann Hesse: Freunde
Das erste Argument ist anthropologischer Natur. Was würde passieren, wenn wir wüßten, daß eine Determinismusthese wahr ist? Wir würden unser Verhalten gegenüber anderen nicht ändern; wir würden sie immer noch so behandeln, als seien sie verantwortlich für ihre Handlungen. Wir können gar nicht anders, als auf eine Beleidigung mit Verstimmung zu reagieren, was unsinnig wäre, wenn wir annähmen, daß die Tatsache, daß jener Mensch eine Beleidigung aussprach, durch eine Kausalkette bestimmt war, für die dieser Mensch keine Verantwortung trug. Also werden wir weiterhin dies nicht annehmen, weil wir sonst für unseren Umgang miteinander konstitutive Elemente aufgeben müßten. So argumentiert STRAWSON.
Das zweite Argument ist epistemischer Natur. Die Erkenntnis, daß die Welt determiniert ist, kann keinen Einfluß auf unser Handeln haben, weil wir keine Möglichkeit haben, unsere Determination zu erkennen. Der Grund dafür ist nicht der, daß Determination (also kausale Verursachung) im allgemeinen nicht erkennbar wäre, sondern der, daß kausale Verursachung dann nicht erkennbar ist, wenn man selbst Teil des Kausalraums ist. „Ob ein Mensch, der selbst Teil des Universums ist, einschließlich all seiner epistemischen Zustände, punktuell einen umfassenden Zugang zu ihm gewinnen kann, läßt sich mit Blick auf einschlägige Reflexionsprobleme bezweifeln. Doch das heißt nicht, daß andere Menschen oder er selbst zu einem anderen Zeitpunkt umfassende Kenntnis nicht auch von jenen Zuständen gewinnen könnten, die ihm situativ unzugänglich sind. Für ein Wesen, das (epistemisch zumindest) außerhalb des Universums steht, wären natürlich auch punktuell umfassende Wissenszustände denkbar“.
Das dritte Argument ist ausweichender Natur. Harry G. FRANKFURT zeigt (wie ich finde, überzeugend), daß Willensfreiheit keine notwendige Bedingung für Verantwortung ist. Damit ist aber der Determinismus, wenn er Willensfreiheit einschränken oder unmöglich machen sollte, keine Bedrohung für unseren Begriff von Verantwortung (und damit wird es irrelevant, ob der Determinismus wahr ist).
FRANKFURTs Argument beruht auf der Unterscheidung zwischen Wünschen 1. und Wünschen 2. (und höherer) Stufe. Wünsche 1. Stufe haben die Form „A möchte Xen“. Dieser Wunsch sagt nichts darüber aus, was A tun wird, da es sein kann, daß A andere Wünsche 1. Stufe hat, deren Erfüllung der Erfüllung dieses Wunsches widersprechen würde. HARE hat solche Wünsche „Präferenzen“ genannt; wir wissen, daß Präferenzen unterschiedliches Gewicht haben und miteinander verglichen werden können. Wenn jemand eine bestimmte Präferenz hat, sagt das nichts darüber aus, was er tatsächlich tun wird.
Wünsche 2. Stufe sind Wünsche darüber, welche der Wünsche 1. Stufe handlungsleitend werden sollen. „Es scheint mir naheliegend und auch nützlich, die Frage, ob jemand einen freien Willen hat, möglichst genau in Analogie zu der Frage zu konstruieren, ob jemand Handlungsfreiheit genießt. Nun ist Handlungsfreiheit (jedenfalls im groben Umriß) die Freiheit zu tun, was man tun möchte. Entsprechend besagt die Behauptung, daß jemand sich eines freien Willens erfreut (ebenfalls grob umrissen), daß er frei ist zu wollen, was er wollen möchte. Genauer heißt das, daß er frei ist, den Willen zu haben, den er haben möchte“ (296).
Denken wir zur Verdeutlichung an eine […] Art von Süchtigen. Und nehmen wir an, daß seine Sucht dieselbe physiologische Grundlage hat und vom selben unwiderstehlichen Zwang ist wie beim Süchtigen wider Willen [bei dem der vergebliche Wunsch zweiter Stufe wäre, nicht dem Wunsch erster Stufe, die Droge zu nehmen, zu folgen, sondern dem schwächeren Wunsch, sich von der Sucht zu lösen] und beim triebhaft Süchtigen [der keinen Wunsch zweiter Stufe ausbildet, sondern sich seinen Wünschen erster Stufe überläßt], aber daß dem Süchtigen im dritten Fall sein Zustand durchaus angenehm ist. Er ist ein williger Süchtiger, der die Dinge nicht anders haben möchte, als sie sind. Sollte sich der Griff seiner Sucht ein wenig lockern, so würde er tun, was immer er könnte, um den alten Zustand wiederherzustellen. Sollte sich sein Verlangen nach der Droge schwächen, würde er Schritte unternehmen, um seine Intensität zu erneuern. Der Wille eines willigen Süchtigen ist nicht frei, denn sein Verlangen, die Droge zu nehmen, wird sich als wirksam erweisen, gleichgültig ob er nun möchte, daß dieser Wunsch sein Wille sei oder nicht. Aber wenn er die Droge nimmt, dann nimmt er sie frei oder aus eigenem freien Willen. […] Er hat seinen Willen nicht unter Kontrolle, aber durch seinen Wunsch zweiter Stufe, daß sein Verlangen nach der Droge handlungswirksam sei, hat er diesen Willen zu seinem eigenen gemacht. Wenn es also stimmt, daß ein Verlangen nach der Droge nicht allein aufgrund der Sucht handlungswirksam ist, dann kann der Betreffende auch moralisch dafür verantwortlich sein, daß er die Droge nimmt„ (299f).
2 Warum ist die Philosophie so kompliziert? Sie sollte doch ganz einfach sein. - Die Philosophie löst die Knoten in unserem Denken auf, die wir unsinnigerweise hineingemacht haben; dazu muß sie aber ebenso komplizierte Bewegungen machen, wie diese Knoten sind. Obwohl also das Resultat der Philosophie ganz einfach ist, kann es nicht ihre Methode sein, dazu zu gelangen.
Die Komplexität ist nicht die der Materie, sondern, die unseres verknoteten Verstandes.
Philosophische Bemerkungen, Ludwig Wittgenstein
Die These des Agnostizismus ist mir die überzeugendste; sie wird durch die epistemischen Bedenken gegen die Erkennbarkeit von Determination im starken Sinne ebenso unterstützt wie von den Ideen STRAWSONs und FRANKFURTs. Ich neige zwar dazu, ähnlich wie CHISHOLM es für möglich zu halten, daß der Mensch eine neue Kausalkette beginnen kann (also ein Schöpfer im Kleinen ist), aber ich kann keine überzeugenden Gründe für diese Auffassung beibringen, außer, daß sie nicht widerlegbar ist, weil der Determinismus nicht beweisbar ist - aber das ist kein guter Grund, denn er sagt nicht, durch welchen Sachverhalt diese These wahr gemacht werden kann bzw. falsifiziert werden kann. Agnostizismus kennzeichnet die Auffassung von strikten Deterministen und Indeterministen als müßige Spekulation.